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Faszinosum Dirndl

Erlaubt ist, was gefällt

Text: Sigrid Römer-Eisele

„Das Dirndl an sich ist ein Faszinosum“, sagt Alexander Karl Wandinger. Und bei diesem Thema gibt es wohl niemanden, der sich besser auskennt als er. Schon als 16-jähriger Schüler begann der heute 57-Jährige, aus eigenem Antrieb und mit erstaunlicher Leidenschaft, Feldforschung zur ländlichen Kleidungskultur durchzuführen.

Mit dem Fahrrad fuhr er von seinem Schulort Schäftlarn aus in die umliegenden Dörfer – und klingelte sich buchstäblich von Haustür zu Haustür. Sein Ziel: historische Kleidung und Fotos aus erster Hand zu sammeln. Wenn die Menschen vor Ort keinen eigenen Bedarf mehr am familieneigenen Traditionsgewand hatten, überließen sie ihm Originalteile und alte Fotografien, weil sie seine interessierten Fragen und sein respektvoller Umgang mit ihrer Geschichte erfreute.

Alexander Karl Wandinger (hier mit jezza!-Chefredakteurin Sigrid Römer-Eisele bei der Ausstellungseröffnung „anders beTRACHTet“ in Benediktbeuern) verkörpert das, was man sich unter einem echten Kenner alpenländischer Kleidungstradition vorstellt: Der ebenso sympathische wie kompetente Trachtenfachberater des Bezirks Oberbayern berät Vereine und Institutionen bei Fragen rund um das Trachtengewand und eine zeitgemäße Brauchpflege.
Foto: jezza!

So legte Wandinger schon in den 1980er-Jahren den Grundstein für eine beeindruckende Sammlung und seine lebenslange Auseinandersetzung mit dem kulturellen Phänomen Tracht. Heute ist er als Trachtenfachberater des Bezirks Oberbayern DIE Instanz in Trachtenfragen. Auch wir von jezza! haben mit ihm gesprochen und ihn gebeten, uns die Besonderheit des Dirndls zu erklären.

„Das Dirndl bewegt sich zwischen Tradition und Trend, zwischen Tracht und Mode – und spaltet dabei mitunter die Gemüter: mal geliebt als Ausdruck regionaler Identität, mal kritisch beäugt als folkloristisches Klischee“, erklärt er. „Die Dirndl-Geschichte ist geprägt von Wandel: Ursprünglich als schlichtes Arbeitsgewand entstanden, wurde es in Bayern um 1900 zur Trachtenmode und hat sich seither immer wieder neu erfunden. Stets offen für zeitgenössische Einflüsse, passt sich das Dirndl aktuellen Strömungen an und bleibt so bis heute spannend und lebendig.“

Dirndl von Kaiserin Sissi
Foto: Sigrid Römer-Eisele

Lebendige Tracht – zwischen Tradition und Stilbruch

Eine lebendige Tracht, so Wandinger, bewegt sich zwischen zwei Polen: der anerkannten, sogenannten „echten“ Tracht einerseits und der ungebändigten, oft modisch interpretierten Trachtenmode andererseits. Sie lebt vom Spannungsverhältnis zwischen alten und neuen Traditionen – zwischen konservativen Einflüssen und innovativem Design. Gerade diese Dynamik macht sie so faszinierend.

Welche Bandbreite es gibt, zeigt ein alljährlicher Blick aufs Oktoberfest, so Wandinger: Von historisch inspiriert bis hin zu experimentell und spielerisch gebrochen findet sich hier alles, erklärt der Experte und blickt auch in die Vergangenheit: „In den 1960er-Jahren etwa waren Mini-Dirndl bei jungen und älteren Frauen sehr beliebt – obwohl (oder gerade weil) sie in traditionellen Kreisen zunächst als unschicklich galten. Weitere Varianten wie das Stil-Dirndl, Abend-Dirndl oder Dirndl aus Wildseide zeigten die Vielfalt der Ausdrucksformen. In den 1980er-Jahren ging man gar nicht mehr mit dem Dirndl auf die Wiesn, doch in den 1990er-Jahren kamen wieder zunehmend verspielte, modische Interpretationen auf.“

Noch mehr Interessantes rund ums Thema Tracht gibts ab Seite 40