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Wie schützen wir uns vor der zerstörerischen Wirkung negativer Nachrichten?

Ronja von Wurmb-Seibel hat ein Buch darüber geschrieben, wie man mit negativen Nachrichten umgehen kann.

Text: Sigrid Römer-Eisele, Bilder: Kims Fotowerk

Am 22. Februar erreichte unsere jezza!-Redaktion eine E-Mail der bekannten Journalistin, Autorin und Filmemacherin Ronja von Wurmb-Seibel, die im Herbst 2020 in ein denkmalgeschütztes Bauernhaus in Dünzelbach (Moorenweis) gezogen ist. Sie meldete sich bei uns mit der Information, dass sie ein Buch geschrieben habe über ein Thema, das ihr seit langer Zeit sehr am Herzen liege: „Es geht darum, was negative Nachrichten mit unserer Wahrnehmung, unserer Weltsicht, unserem Denken machen – wie sich das auf Politik und Gesellschaft auswirkt und vor allem: Wie wir uns davon befreien können.“ Sie erklärte weiter: „Das Buch ist ein erzähltes Sachbuch, mit konkreten Tipps am Ende jedes Kapitels. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Thema auch für die Leserinnen und Leser von jezza! interessant sein könnte.“

Wir antworteten der Autorin umgehend, dass wir natürlich und unbedingt sie und ihr neues Buch unseren Lesern vorstellen möchten, denn seit Jahren verfolgen wir mit Interesse und Bewunderung die Arbeit von Ronja von Wurmb-Seibel (ehemalige Mitarbeiterin der ZEIT-Politikredaktion), die 2013 im Alter von 27 Jahren für zwei Jahre nach Kabul zog, um von dort aus ihre persönlichen Eindrücke des Lebens in Afghanistan zu schildern – in dem Buch „Ausgerechnet Kabul. 13 Geschichten vom Leben im Krieg.“ Später drehte sie gemeinsam mit ihrem Partner Niklas Schenk den Dokumentarfilm „True Warriors“ mit Augenzeugen eines Bombenanschlages in einem Kabuler Kulturzentrum, dem sie und ihr Partner durch eine zufällige Terminverschiebung entgangen waren. Das Lichtspielhaus Fürstenfeldbruck zeigte 2018 diesen bedrückenden Film.

Welch‘ traurige Aktualität ein Ratgeber über den Umgang mit negativen Nachrichten für uns hat, zeigte uns der Kriegsbeginn in der Ukraine, der nur zwei Tage nach Eingang dieser E-Mail die Welt mit schrecklichen Bildern flutete.
Dabei haben schon die Ereignisse der Vergangenheit ausgereicht, um den Einfluss negativer Nachrichten auf unser Wohlergehen zu überdenken: Von Wurmb-Seibel begann mit dem Schreiben ihres Buches zu Beginn der Corona-Pandemie. Als sie es im letzten Spätsommer fertigstellte, übernahmen gerade die Taliban die Macht in Afghanistan – etliche Freunde und Bekannte der Autorin waren unmittelbar betroffen und leben seither unter den Bedingungen dieser Unterdrückungsherrschaft.
Nun, da Ronja von Wurmb-Seibel ihr Buch der Öffentlichkeit präsentiert, tobt ein Krieg in Europa. Die Berichte aus der Ukraine verängstigen die Menschen hierzulande, sie fühlen sich selbst nicht mehr sicher, beginnen, für eine mögliche Krise vorzusorgen – mit der Einlagerung von Grundnahrungsmitteln wie Öl und Mehl, die im März in den Supermärkten schon wieder rationiert werden müssen.
Diesen Zusammenhang beschreibt Ronja von Wurmb-Seibel in ihrem Buch: Menschen, die nicht direkt von Terrorismus betroffen waren, aber ständig Berichte über Terrorismus hörten oder sahen, fühlen und verhalten sich wie Menschen, die tatsächlich Terror erlebt haben. Der richtige Umgang mit Medien kann helfen, diesen Effekt zu mildern oder zu vermeiden.

Autorin Ronja von Wurmb-Seibel mit Partner Niklas von Wurmb-Seibel in Dünzelbach

jezza! hat mit der Autorin gesprochen:

Der Erscheinungstermin Ihres Buches hätte kaum passender sein können.

Es ist schon heftig, dass mein Buch gerade jetzt rauskommt. Wir haben ja gefühlt immer ein belastendes Thema in den Medien, aber aktuell ist es ganz besonders präsent. Ich hatte in der vergangenen Woche etwa 30 Interviews zur Bucherscheinung, und fast alle Journalisten, mit denen ich sprach, sagten, sie seien auch selbst überfordert mit der Situation. Das Buch war innerhalb weniger Tage ausverkauft, ist auf die Spiegel-Bestseller-Liste gekommen und wird aktuell nachgedruckt. Die zweite und dritte Auflage sind schon beauftragt.

Sie raten Ihren Lesern und Leserinnen, bei der Rezeption von negativen Nachrichten auch positive Aspekte zu sehen.

Genau. Es geht ja nicht darum, Nachrichten zu verdrängen, sondern bewusst damit umzugehen. Dazu gehört, Nachrichten gezielt zu sehen und zu hören – aus seriösen Quellen. Einmal am Tag – und nicht über einen längeren Zeitraum hinweg. Und ganz wichtig: Auch die positiven Nebenaspekte in Missständen aufspüren. Übertragen auf die aktuelle Situation könnte dies der Aspekt der extremen Hilfsbereitschaft in Form von Hilfstransporten und der Sammlung von Gütern sein, die Aufnahme Geflüchteter in Privathaushalte oder die unerwartete Einigkeit europäischer Staaten bei der Aufnahmebereitschaft von Flüchtlingen. Wir sehen Bilder von Menschen, die sich unbewaffnet Panzern entgegenstellen – das ist ja wahnsinnig mutig und zeigt uns: Selbst in so einer Situation kann es die Möglichkeit geben, auch als einzelner etwas zu tun und sich zu beteiligen.

Das zu sehen erzeugt Solidarität und gibt uns das Gefühl, der Sache nicht machtlos gegenüber zu stehen.

So ist es. Wenn jeder Einzelne hinterfragt, was er persönlich beitragen kann, kann viel Gutes entstehen: Als ich mein Buch im Spätsommer fertig geschrieben hatte, begann ich zusammen mit meinem Partner Niklas, Visa und Transfers zu besorgen für die Menschen, mit denen wir in Kabul gearbeitet hatten: Unsere Übersetzer, Fahrer, Haushälterin etc. waren alleine deshalb gefährdet, weil sie zuvor für uns gearbeitet hatten. Es gelang uns, 15 Menschen und deren Familien zu evakuieren und hier in der Region bei Gastfamilien unterzubringen. Es gelang sogar die private Aufnahme einer 7-köpfigen Familie, eine Eingliederung ohne monatelange Unterbringung in Camps. Das ist sehr ermutigend und zeigt, dass wir als Gesellschaft echte Perspektiven schaffen können. Auf unsere Aufrufe meldeten sich sogar immer mehr Hilfsbereite, als wir brauchten. Der Anreiz dafür war zwar zunächst meist das Thema Moral, doch am Ende empfanden alle Beteiligten die Aufnahme als total bereichernde Maßnahme – eine tolle Erfahrung, bei der sie viel lernen konnten. Sogar die Behörden vor Ort reagierten positiv. Aufgrund dieser Vermittlungsaktion hat inzwischen das Innenministerium mit uns Kontakt aufgenommen, weil von diesem bürgerschaftlichen Engagement so viel Positives ausgeht, dass man dieses Modell auch an anderer Stelle fördern möchte.

Eigentlich ist Ihr neues Buch nicht nur ein Buch darüber, wie wir Geschichten und Nachrichten konsumieren sollten, sondern auch ein Buch für Journalisten darüber, wie Geschichten erzählt und Nachrichten geschrieben werden können und sollen.

Absolut. Während meiner Zeit in Kabul, in der ich viele schlimme Geschichten hörte, begann ich, gezielt nach Geschichten zu suchen, die Mut machten, um daraus Zuversicht zu schöpfen. Das waren in der Regel nicht Geschichten ganz ohne Probleme, sondern Geschichten, die neben einem Missstand auch einen Ausweg zeigten.
Es gibt für Journalisten ja unterschiedliche Möglichkeiten der Krisenberichterstattung: Man kann eine Situation sehr drastisch beschreiben – ohne jegliche Lösungsvorschläge. Oder aber man beleuchtet auch die positiven Aspekte einer Situation. Diese Form von Journalismus, die ich befürworte, nennt man „Konstruktiven Journalismus“. Ich versuche, meine Erfahrungen in Seminaren für Journalisten weiterzugeben, um diese Form der Berichterstattung zu fördern. Denn nur so wird es den Rezipienten und damit einer Gesellschaft möglich, noch an einen Wandel zu glauben und v. a. sich auch dafür einzusetzen.

Vielen Dank für das Gespräch!


Ronja von Wurmb-Seibel wuchs in Eichenau auf und legte ihr Abitur im Viscardi-Gymnasium in Fürstenfeldbruck ab. 2012 bis 2013 arbeitete sie in der Politikredaktion der Wochenzeitung Die ZEIT in Hamburg, kehrte dem „Bürojob mit Konferenzen“ aber den Rücken, weil sie mit „Menschen sprechen und Dinge verstehen“ wollte.
Nach ihrer Kabul-Zeit zog sie zunächst zurück nach Hamburg, kam dann aber durch den Wunsch, auf dem Land leben zu wollen, wieder nach Oberbayern und wohnt nun in Dünzelbach in einem 300 Jahre alten Haus mit tollem Garten, das auch Gästezimmer für Künstler und Künstlerinnen bereit hält, die hier an einem kreativen Werk arbeiten können.