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Bildung als Fluchtursachenbekämpfung

Claus-Peter Reisch, Kapitän und Aktivist, setzt sich für ein Bildungsprojekt im türkischen Auffanglager für syrische Frauen und Kinder ein

Text: Sigrid Römer-Eisele

Claus-Peter Reisch (62) ist ein Mann des Handelns – jemand, der seine Zeit nicht lange mit Zögern vertut, sondern auch einfach mal macht, wenn es der gesunde Menschenverstand vorgibt. Diesem Eindruck kann man sich nicht entziehen, wenn man sich mit dem Landsberger, der 2018 durch sein Engagement in der Seenotrettung im Mittelmeer bekannt wurde, über seine aktuellen Projekte unterhält.

Als Kapitän des Rettungsschiffs „Lifeline“, hat er 2018 hunderte Menschen vor der libyschen Küste aus Schlauchbooten geborgen. Bei einem Einsatz ein Jahr später rettete Claus-Peter Reisch mit dem Team der „Eleonore“ 104 Menschen.

Doch aktuell hat sich Reisch einem ganz anderen Projekt verschrieben: Gemeinsam mit seiner türkischen Partnerorganisation organisiert und fördert er ein Schulbusprojekt, das syrischen Flüchtlingskindern den Zugang zu Schulbildung in der Türkei ermöglichen soll. jezza!-Redakteurin Sigrid Römer-Eisele hat sich mit ihm über seine bisherigen und künftigen Projekte unterhalten.

Claus-Peter Reisch an Bord der „Eleonore“
Foto: Johannes Filous-Seacoverage

jezza! Wie kam es zu Ihrem neuen Projekt – dem rollenden Klassenzimmer?

Ich bin ja ein großer Freund der Fluchtursachenbekämpfung. Man muss dafür sorgen, dass die Menschen sich gar nicht erst auf den Weg machen müssen. Als Privatperson hat man bei kriegerischen Auseinandersetzungen relativ wenig Möglichkeiten zur Einflussnahme. Aber man kann etwas gegen die wirtschaftlichen Gründe unternehmen, aus denen die Menschen ihre Heimat verlassen.

An der Küste zwischen Izmir und Cesme gibt es etwa 200.000 syrische Flüchtlinge – die meisten Kinder und Frauen -, die nirgends registriert sind und keinerlei staatliche Unterstützung haben – weder aus der Türkei noch aus Europa. Als ich dort war, um mit meiner türkischen Partnerorganisation Imece Lebensmittelpakete und Öfen zu verteilen, sah ich in einem Lager die Ausrüstung einer ehemaligen Schule – Tafeln, Sitzgelegenheiten, Tische –, die aufgrund rückläufiger Spenden aufgelöst werden musste.

Ich überlegte daraufhin, dass dieses Schulmaterial eine wichtige Hilfe in diese syrischen Lager bringen könnte, wo Kinder in prekären Zuständen in Zelten oder unter Plastikplanen hausen. Denn: Wenn die keine vernünftige Bildung bekommen, werden sie nie etwas aus ihrem Leben machen können und sind potenzielle Anwärter auf eine Fahrt im Schlauchboot zu den nahegelegenen griechischen Inseln.

Unterkünfte im türkischen Auffanglager

Weil es unglaublich wichtig ist, dass Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können – und das hat etwas mit einer vernünftigen Bildung und Berufsausbildung zu tun – begann ich, Geld zu sammeln, um die Schule zu reaktivieren. Im März 2022 konnte der Unterricht beginnen: 45 Kinder besuchten die Schule, mindestens doppelt so viele den Kindergarten.

Allerdings war es sehr mühsam für das Lehrpersonal und die pädagogischen Fachkräfte, das 300-kg-Lehrzelt immer wieder an den wechselnden Lager-Standorten aufzurichten. So kamen wir auf die Idee, einen Reisebus zu einem rollenden Klassenzimmer auszubauen. Schon nach zwei Monaten ging der erste Bus an den Start. Und vor drei Wochen wurde der zweite Bus gekauft – so dass nun doppelt so viele Kinder in die Schule und den Kindergarten gehen können.

Wir können schon erste Erfolge verbuchen: Mittlerweile haben bereits über 50 Kinder den Übertritt in das türkische Grundschulsystem geschafft. Denn unser Ziel ist es ja, sie zu befähigen, im türkischen System ihre Ausbildung zu machen und so zu einer vernünftigen Einkommensmöglichkeit zu gelangen.

Kurze Pause muss sein. Gleich geht’s weiter im rollenden Schulbus.

jezza! Wie soll es weitergehen?

Aktuell wird der zweite Bus ausgebaut. Und je mehr Spenden wir generieren können, umso mehr Busse können wir ausbauen. Es ist keine große Sache, so einen Bus zu initiieren, es hängt letztlich von den finanziellen Mitteln ab: Ein Bus hat Betriebskosten von ca. 7.500 Euro pro Monat – darin enthalten sind zwei Lehrkräfte, zwei pädagogische Fachkräfte für den Kindergarten und der Fahrer. Hinzu kommen Treibstoff, Schulmaterial etc.

Mit der türkischen Partnerorganisation zusammen können, wenn wir mehr Spenden bekommen, weitere Busse zu rollenden Schulen umgewidmet werden.

Spenden

Wer für das Schulbusprojekt im syrischen Flüchtlingslager in der Türkei spenden möchte, kann dies tun auf das Spendenkonto DE87 7209 0000 0002 2983 76 bei der VR Bank Augsburg-Oberallgäu.

Weitere Infos zu Claus-Peter Reisch und seinem Projekt: www.claus-peter-reisch.com


Claus-Peter Reisch hat seine Erfahrung mit der Lifeline-Mission in seinem Buch „Meer der Tränen“ festgehalten – mit einem Vorwort von Udo Lindenberg.
249 Seiten
Preis: 19,99 EUR

Die Filmreihe von Kinowelt & Amnestygruppe Ammersee umfasst sechs Filme (mit Einführung und Austausch) zum Thema Menschenrechte aus unterschiedlichsten Blickwinkeln, die jeweils am zweiten Donnerstag im Monat um 20 Uhr in der Kinowelt Dießen gezeigt werden.